Nachdem es der Regisseur und vermeintliche Menschenfeind Lars von Trier in diesem Jahr bei den Filmfestspielen in Cannes bereits zu sehr unrühmlichen PR-Aussetzern brachte, kam sein Film Depressionsdrama „Melancholia“ vor kurzem auch in die deutschen Kinos. Trotz seiner Äußerungen soll es hier dennoch nur um den selbst Film gehen.
„Melancholia“ beginnt mit einem sehr ungewöhnlichen Intro, dessen Bedeutung sich erst im Verlauf des Films entfaltet. Dabei gibt wunderschöne, werbehaft inszenierte Super-SloMo-Aufnahmen der Darsteller zu opernähnlicher Klassikmusik zu bestaunen.
Im weiterem Verlauf ist das Werk in zwei Teile aufgeteilt, die sich je den beiden Hauptfiguren widmen, den Schwestern Justine (Kirsten Dunst) und Claire (Charlotte Gainsbourg). Es beginnt mit der Fahrt von Justine und ihrem gerade angetrautem Mann Jack (Alexander Skarsgård, „True Blood“) zu ihrer Hochzeitsfeier. Dabei lässt sich vor allem Justine auffällig viel Zeit und so kommen die Beiden dort Stunden zu spät an. Bei den folgenden unausweichlichen Reden der Gäste merkt man auch bald, dass vor allem die Familie der Braut mit Ausnahme ihrer Schwester, in deren schlossartigem Anwesen der gesamte Film spielt, etwas schrullig sind. Justines Mutter hält nichts von solch klassischen Liebesritualen und ihr geschiedener Vater (John Hurt) feiert das Fest lieber mit seinen jungen Gespielinnen. Neben dem Hass zwischen ihren Eltern geht auch einige Geringschätzung von ihrem genervten Schwager John aus (Kiefer Sutherland), der letztlich sogar die Brautmutter des Hauses verweisen will.
Justines eigentliches Problem offenbart sich aber erst nach und nach im Verlauf des Films. So zeigt sich, dass sie doch sehr nachdrücklich für die Feier motiviert werden musste. Sie boykottiert die Feier mehrfach um sich für längere Ruhepausen davonzustehlen und bringt schließlich sie endgültig zum Platzen indem sie ihrem dominanten Chef und Schwiegervater Michael (Stellan Skarsgård) mal so gehörig die Meinung geigt, dass er sie feuern muss. Eine weitere Erklärung für ihr Verhalten gibt es im ersten Teil nicht bis auf den Hinweis, dass ihr etwas Seltsames in Sternbild Antares aufgefallen scheint.
Im zweiten Teil, der vorrangig aus der Perspektive von Justines Schwester Claire dargestellt wird, kehrt Justine einige Tage später zum Anwesen von Claires Familie zurück. Sie befindet dabei in einem so schweren Zustand der Depression, dass es ihr anfangs kaum möglich ist das Bett zu verlassen. Durch die Hilfe ihrer Schwester und der Beschäftigung mit Gartenarbeit und Reiten bessert sich langsam ihr Zustand. Währenddessen klärt sich fast nebenher die eventuelle Ursache für ihren Zustand, die aber im weiteren Verlauf auch die kleine Gastfamilie immer weiter verunsichert und schließlich in einen fatalistischen Zustand versetzt: In dem von Justine bei der Hochzeit beobachteten Sternbild ist ein Stern verdeckt worden von einem neuentdecktem, bisher verstecktem Planeten namens „Melancholia“, der sich auf einem vermeintlich engem Vorbeiflugkurs mit der Erde befindet. Dass so eine Prämisse in einem Lars-von-Trier-Film zu keinem Happy End führen kann wird hier schon allein durch die anfängliche Collage im Film klar.
Während sich Claires Familie immer mehr in mentaler Auflösung befindet, geht es Justine besser, sie scheint ihr mögliches Schicksal akzeptiert zu haben, vielleicht sogar schon unterschwellig gewusst zu haben, da die Dialoge ihr sogar noch eine einfache seherische Gabe unterstellen. Sie scheint sich durch Melancholias stahlblaues Licht in einen beruhigenden Wohlfühlzustand versetzt zu werden, während sich um sie herum die apokalyptische Stimmung schließlich voll entfaltet.
Dass Lars von Trier alles andere als eine Frohnatur ist, ein eher negatives Bild der Menschheit hat und selbst auch Depressionsprobleme hat(te), dürfte für Kenner des Regisseurs keine Neuigkeit sein. Die eigentlich spannende Sache mit ihm ist jedoch, dass und wie er es dennoch geschafft hat in den letzten Jahren soweit in die Hollywood-Liga vorzurücken, vor allem seine Casts betreffend. Melancholia ist dabei vielleicht einer seiner persönlichsten Filme bisher geworden. Die beiden Filmteile zeigen neben vielen leistungsstarken Starschauspielern zwei ganz unterschiedliche Qualitäten: Im ersten Part gelingt es wunderbar subtil die Feinheiten menschlichen Abscheus und familiären Hasses zu offenbaren. In der zweiten Hälfte hat man wahrscheinlich noch nie oder wenigstens nicht mit solchen Stars eine so schonungslose und offene Darstellung von Depression, Weltschmerz und der Sinnlosigkeit des Seins sehen können. Die weitläufig oft unterschätzte Kirsten Dunst schafft es mit körperlicher Offenheit und maskenlosen Spiel eine sehr gute, bemerkenswerte Leistung abzuliefern wie vielleicht seit „Marie Antoinette“ nicht mehr. Aber auch die weiteren Schauspieler wir Charlotte Gainsbourg, Kiefer Sutherland, John Hurt und Vater und Sohn Skarsgård zeigen unter von Trier’s Inszenierung eine ausfallslos gute Leistung. Ebenso anzuerkennen ist seine Leistung den Film nur an einer Location stattfinden zu lassen, ohne dass es groß langweilt. Auf der bildlichen Ebene schafft er es zwar einerseits wunderschöne Lichtstimmungen zu entwickeln, strengt aber durch die „Dogma“-Stil-bedingte ausschließliche Verwendung von Handkameraeinstellungen auch teilweise etwas an. Bei den Bildern helfen aber sehr die wunderschönen, sehr gut subtil eingeflochtenen Special Effects bzw. die vielfach eingesetzten Farbkorrektureffekte, die wohl zum guten Teil in Deutschland erstellt wurden. Zusammen mit der minimalistisch eingesetzten klassischen Musik ergibt sich bei „Melancholia“ ein fast operettenhafter Eindruck, der genauso an die Bilderwelten künstlerischer Werbespots erinnert.