Wer diese Frage unmittelbar mit ja beantworten kann, sollte sich auch einmal fragen, welchen moralischen Preis man dafür bereit ist zu zahlen. Um diese Thematik dreht sich Michael Bays (The Rock, Armageddon) neuer Film „Die Insel“. Natürlich stellt man sich in diesem Zusammenhang folgende Frage: Hollywoods Krawall-Regisseur Nummer eins und ein Film mit Tiefgang, kann das funktionieren? Auch wenn das zunächst unglaublich erscheint, so erweckt dieser Film doch diesen Eindruck.
Der Arbeiter Lincoln Six Echo (Ewan McGregor) lebt Mitte des 21. Jahrhunderts zusammen mit Hunderten anderer Menschen, darunter seine Freundin Jordan Two Delta (Scarlett Johannsen), in einem abgeschottetem Industriekomplex unter strengen Überwachungsmaßnahmen. Begründet wird diese Gesellschaft mit der angeblichen Zerstörung der Erde und einer tödlich verseuchten Umwelt. In diesem Komplex ist zwar für jedes Detail des menschlichen Daseins gesorgt (nicht einmal seine Wäsche muss man selbst waschen), allerdings hat das Leben dort auch erhebliche Nachteile. Freundschaften sind nur bis zu einem gewissen Punkt erlaubt, Liebe ist gleich ganz verboten und man wird rund um die Uhr vom sogenannten Sicherheitspersonal überwacht. Einziges Ziel der Menschen im Komplex ist es irgendwann beim täglichen Gewinnspiel die Reise auf die Insel zu gewinnen, dem angeblichen letzten nicht verseuchtem Plätzchen auf der Erde. Naive Fragen, ob es da noch mehr gibt, werden auch gar nicht gerne gesehen, was auch Lincoln erfahren muss, der kurz darauf unliebsame Bekanntschaft mit der Leiter der Einrichtung Dr. Merrick (Sean Bean) macht und sich nur knapp noch einmal herausreden kann. Kurz darauf kann er jedoch einen dummen Zufall nutzen, um sich Zugang zu dem verbotenem Teil der Einrichtung zu verschaffen. Dort macht er dann eine folgenschwere Entdeckung: er muss dabei zusehen, wie die letzten Gewinner der Insel-Reise auf dem OP-Tisch ausgeschlachtet werden, um an ihre Organe zu kommen. Schockiert versucht er daraufhin auf dem schnellstem Weg zusammen mit Jordan, die gerade am Vortag ebenfalls Gewinnerin der Reise war, den Komplex zu verlassen, da er schon vermutet, dass das mit der verseuchten Erde nicht ganz der Wahrheit entspricht. Gleich am Anfang ihrer sehr actionreichen Reise müssen die Beiden dann auch feststellen, dass der ganze Komplex in Wirklichkeit in einem altem Raketensilo liegt und die Erde immer noch völlig bewohnbar ist. In der nächstbesten Bar findet Lincoln dann auch gleich einen seiner Freunde aus der Anlage wieder, den Techniker McCord (Steve Buscemi), der sie darüber aufklärt das die Beiden Klone von reichen Leuten sind, die von denen zur eigenen Lebensversicherung und -verlängerung bestellt wurden. Um diese darüber aufzuklären, dass die Leute im Komplex nicht ohne Bewusstsein geklont werden, machen sich die Beiden auf ins L.A. der Zukunft. Auf dieser Hetzjagd werden sie zwar die ganze Zeit von Merricks Schergen, engagierten Söldnern unter der Führung von Djimon Hounsou, gejagt, lernen aber auch die Freude am freiem Leben, darunter die Liebe zueinander, kennen.
Man muss leider ganz offen eingestehen, dass die Story einige kaum zu übersehende Löcher aufweißt. So stellen sich z.B. die Fragen, wer einen solchen Komplex ohne Nachfragen finanzieren würde, warum sich das gesamte technische Personal der Einrichtung einen Dreck um die Leute drinnen schert, wieso man es nicht für nötig erachtet hat bei einem solchen Komplex die Quarantäne besser zu planen und woher unsere beiden Klone eigentlich auf Anhieb wissen, wie man mit Schusswaffen schießt und vor allem auch trifft. Andererseits ist die Grundidee sehr gut, die Hetzjagd durch die Zukunft ist immer spannend und beeindruckend und vor allem stellt man sich angesichts der Protagonisten ständig selbst die Frage, wie weit man gehen würden um sein eigenes Leben künstlich zu verlängern. Bay versteht es auch die erste Hälfte mit für ihn überraschendem emotionalem Tiefgang zu erzählen. Dass er dann spätestens in der Stadt wieder in die für ihn so typischen Action-Verfolgungsjagden verfällt ist zu verzeihen, da er das ja eigentlich nie wirklich schlecht in Szene setzt und diesmal dennoch ein Auge offen hält für die sich durch die Story bietenden, kleinen Szenen, die wieder die Grundstory aufnehmen. Insbesondere ist es amüsant, wenn Lincoln von seinem Original an die Söldner verraten wird, da dem sein eigenes Leben mehr am Herzen liegt. Schade an dem Film bleibt nur das die eigentlich interessanteren Storymöglichkeiten, z.B. was die Klone am Ende des Films weiter machen, kaum bis gar nicht weiter ausgeschöpft werden.
Am Gelingen des Spagats zwischen Action und Tiefgang ist auch das sehr gute Schauspielerensemble stark beteiligt. Der aus Star Wars actionerfahrene Ewan McGregor spielt vielleicht gerade anfangs den kindlich naiven Klon etwas zu sehr aufgesetzt, dennoch holt er das spätesten im Zusammenspiel mit sich selbst (seinem Original) durch pointierte Unterschiede, wie verschiedene Akzente, wieder heraus. Shootingstar Scarlett sieht wie immer fantastisch aus und eröffnet sich trotz fehlender schauspielerischer Offenbarung in diesem Film wahrscheinlich hiermit erstmals dem Massenpublikum. Wie immer toll spielen auch Sean Bean (Der Herr der Ringe) und Steve Buscemi, obwohl ersterer hier leider eine sehr klischeehafte Rolle erwischt hat und letzterer durchaus mal entgegen seinem Image als abgewrackter Freak besetzt werden sollte. Völlig verheizt werden leider die Möglichkeiten eines Michal Clarke Duncan und bis ganz zum Schluss auch die eines Hounsou. Das Beste am gesamten Film ist neben der guten Grundidee zweifellos die optische Darstellung. Das gesamte Design innerhalb des Komplexes ist sehr nett anzusehen und auch zweckentsprechend steril. Aber auch der Rest der Welt außerhalb ist sehr futuristisch gelungen, insbesondere solche Details wie Hover-Züge und schwarze Ein-Mann-Jagddrohnen. Allerdings zeigt sich hier wieder einmal in erschreckender Deutlichkeit eine Grundproblematik heutiger Hollywood-Filme: Product-Placement. Mit der in aller Deutlichkeit gezeigten Darstellung von circa zehn Marken, deren Erwähnung hier dem Problem nur zuträglich wäre, kann man sich angesichts der Gewöhnung durch ältere Filme ja vielleicht noch abfinden. Absolut untragbar finde ich allerdings, wenn wie in diesem Film die Darstellung der Marke ein wichtiges Storyelement ist. In einer Szene als Lincoln und Jordan gerade in der Stadt ankommen sieht sie sich nämlich in einem Schaufenster einen von ihrem Original gedrehten Werbespot in voller Länge an, der nichts anderes ist als Scarlett Johannsens Real-Life CK One Spot. Hier geht das Sponsoring eindeutig zu weit, da man sich fragen muss, ob die Firmen da irgendwann Einfluss auf die Besetzung nehmen. Musikalisch ist der Film übrigens auch sehr spannend geworden, da man einen schönen Mix aus Industrial und Klassik wagt.