Dunkle, schwarze Rauchschwaden winden sich durch die engen Gassen Londons. Wir schreiben das Jahr 1884 und David Lynch erzählt uns die Geschichte des John Merrick (1864-1890). England ist in jener Zeit von unterschiedlichen Entwicklungen gekennzeichnet. Einerseits dominiert von der Herrschaft des kolonialen Feudalismus und der aristokratischen Tradition. Strenge intoleranten Moralvorstellungen und der Reichtum der oberen Gesellschaftsschicht, prägte diese Epoche sehr. Bezeichnent ist z.B. die Szene in der Doktor Treves erstmals um die Aufnahme von John Merrick bittet. Dieser Antrag wurde abgelehnt. Mit der Bergründung, dass das Hospital nur heilbare Menschen aufnehmen würde. John Merrick lebt in einer Gesellschaft, in der Unheilbare abgewiesen und verfolgt werden. Doch diese Epoche zeichnet sich auch durch die enorme Armut aus. Der harsche Gegensatz zeigte die Armut des Proletariats, der das Straßenbild Londons durch seine enorme Armut zeichnete. Die Menschen der unteren Schichten lebten hart an der Armutsgrenze und der sozialen Unsicherheit. Zu genau diesem Zeitpunkt entdeckt der Arzt Dr. Frederic Treves auf einem Jahrmarkt von London einen Menschen, der als grauenhafte Attraktion vorgeführt wird.
Das Ende ist Nah.
Sein Name ist John Merrick. Ein von der Geburt an missgebildeter Mensch, der durch Geschwülste am Körper, Knochendeformationen im Gesicht bis zur Unkenntlichkeit entstellt ist und deswegen nur "Der Elefantenmensch" genannt wird. Die Menschen im viktorianischen London kannten viele Synonyme für John Merrick. John der Elefantenmensch, die Bestie, die Kreatur oder der Entstellte. Die Realität war hart und John wurde wie ein Tier gehalten, war Schauobjekt und wurde den gierigen Blicken der Menschen vorgeführt. Was jedoch niemand von der Schaulustigen und den Gaffern wußte. In Wirklichkeit versteckte sich hinter der Fassade der Missbildungen und der grausamen Entstellungen des Körpers/Gesichtes, ein Mensch. Ein Mensch der intelligent und kreativ war. Er konnte lesen, reagierte sensible auf seine Umwelt und seine Mitmenschen und er hatte Gefühle. Gefühle die er immer unterdrücken musste. Gefühle die er nur hinter seiner Fassade verbergen konnte.
1884 entdeckt der Arzt Doktor Frederic Treves diesen missgebildeten Menschen und war entsetzt obgleich auch fasziniert vom Schicksal des John Merrick. Von nun an setzte Treves alles daran, Merrick in das örtliche Hosptial zu verlegen um eine ärztliche Fürsorge zu gewährleisten und um das Phänomen der Nervenkrankheit und Missbildungen zu untersuchen. Im Laufe der Geschichte beginnt sich Frederic Treves zu verändern und er beginnt schon bald das symbiotische Patient/Arzt Verhältnis zu durchbrechen. Treves widmete sich der Erforschung der Nervenkrankheit und dokumentierte den Fall des John Merrick. Treves schaffte es, in ganz England eine gewisse Anteilnahme am Schicksal von John zu erzeugen, da durch Treves der Fall erst öffentlich Publik gemacht wurde. Selbst die gehobenen Gesellschaftsschichten wurden auf John Merrick aufmerksam und gesuchten ihn im Hospital. Doch die Menschen sahen in ihm immer noch nicht das Individuum. Sondern vielmehr das sprechende Monster, dass ihnen zur Belustigung Gesellschaft leistete. John Merrick war unter sozialen Gesichtspunkten ein Opfer seiner Zeit, da er nicht im Zeichen einer humanistischen Weltanschauung stand. Merrick wurde von der feudalen Geselleschaftsschicht immer noch als das Monster angesehen und so groß war der Unterschied zwischen der niedrigen Unterschicht und den biederen Leuten der oberen Gesellschaftsschicht nicht. Denn fast alle sahen in Merrick den Entstellten. Lynch proklamiert und zeigt dies in aller Deutlichkeit. Der Käfig in dem John Merrick lebte hat sich nur verändert. Doch John Merrick war das erste mal in seinem Leben glücklich und fühlte sich verstanden. John Merrick lebte bis zu seinem Freitod im Jahre 1890 im Hospital. In dem heute noch der Körper von John Merrick konserviert wird. Der Körper ist dabei aber nicht der Öffentlichkeit zugänglich.
Agnus Dei - "Ich habe es geschafft"
Das Ende ist tragisch und traurig zugleich und es kommt der Erlösung gleich. John Merrick fühlt sich verstanden und gebraucht. Er fühlt sich zum ersten Mal in seinem Leben glücklich, beachtet und respektiert. Doch John wählt den Freitod und begeht Selbstmord im glücklichsten Moment seines Lebens. Dieses bittere Schicksal reflektiert auch die grausame Realität der damaligen Zeit wieder.
Tis true my form is something odd,
But blaming me is blaming God;
Could I create myself anew
I would not fail in pleasing you.
If I could reach from pole to pole
Or grasp the ocean with a span,
I would be measured by the soul;
The mind's the standard of the man.
A Poem often quoted by John
Die Faszination des Unbekannten und Außergewöhnlichen.
Der Elefantenmensch ist ein Film der bewegt und zum Nachdenken anregt. Nach diesem Film nimmt man seine Umwelt anderes wahr und man denkt anderes über seine Mitmenschen.
David Lynch hat wieder viel Mut bewiesen und er hat mir wieder einmal gezeigt, welch ein Ausnahmeregisseur er doch ist. 1980 liefert David Lynch sein zweites Meisterwerk, nach dem fulminanten Eraserhead ab. Nach Eraserhead widment sich Lynch der Menschlichkeit. Als ich mir "The Elephant Man" ansah war mir nicht klar, was mich erwarten würde. David Lynch, der ja sehr auf seine experimentelle Art und Weise seine Filme angeht, überrascht mich wieder und er zeigt mir, was für ein Ausnahmekopf er doch ist. Lynch verarbeitet das Thema äußerst ernst und sensibel. Er rutscht dabei nie in kitschige und klischeehafte hinein. Da der Film auf einem authentischen Fall basiert, ging mir das Schicksal des John Merrick sehr zu Herzen und berührte mich umso mehr. Unter der harten Schalle vergessen viele den Menschen und die Gefühle der Person.
Die Schauspielerische Leistung der beiden Hauptprotagonisten kann gar nicht genug gewürdigt werden. Die Schauspieler sind allesamt hervorragend. Anthony Hopkins und John Hurt spielen auf einem Weltklasse Niveau, was wir höchstwahrscheinlich auch David Lynch zu verdanken haben. John Hurt verleiht selbst durch die Maske hindurch John Merrick soviel Charakter und das Schicksal macht mich betroffen und traurig. Anthony Hopkins hat mir in der Szene gefallen, in der er sich selbst in Frage stellt und sich mit dem Proletariats gleichsetzt und vergleicht. Die Szene gehört für mich mit zum Schlüsselerlebnis im handeln von Treves.